Erfahrungen als hochsensible Autorin: Wie es ist ein Buch zu schreiben

#deutsch

Im Film führt ein Buchautor oft ein idyllisches Leben. Er wohnt in einem romantischen Häuschen, trägt einen kuschligen Rollkragenpullover und setzt sich morgens voller positiver Energie mit seinem dampfenden Kaffee an den Schreibtisch – natürlich vorm Fenster mit Blick auf einen See. Von Selbstzweifeln keine Spur, Schreibblockaden währen höchstens kurz. Meist führen unvorhergesehene Ereignisse dazu, dass die Ideen nur so sprudeln und die Tasten glühen.

Mit dieser Wunschvorstellung konnte meine Realität der letzten Monate nicht mithalten. Sie hätte kaum als Vorlage für einen Kitsch-Fernsehfilm getaugt, sondern allenfalls das Zeug zu einer Möchtegern-Autorin-in-Not-Dokusoap gehabt. Dafür hätten sich die Zuschauer höchstens aus Voyeurismus interessiert. Aber lass mich etwas weiter ausholen.

Den Anfang nahm mein Projekt, als ich vor zweieinhalb Jahren das erste Buch über Hochsensibilität las. Wie viele hochsensible Personen (HSPs) erkannte ich mich darin wieder und tauchte daraufhin tiefer in die Materie ein. Einige Monate und Bücher später spielte ich mit dem Gedanken, selbst ein Buch über dieses Thema zu schreiben. Allerdings befürchtete ich, dass sich niemand dafür interessieren würde, und verwarf die Idee wieder. Ich las und schrieb weiter Blogbeiträge über das Thema – und diskutierte mit Patrick gefühlte hundert Mal, ob es nicht doch ein Buch wert sei. Schließlich überzeugten mich die vielen Zugriffe auf meine HSP-Artikel bei uns im Blog sowie die E-Mails einiger hochsensibler Leser. Wie so oft folgte ich dem Quick and dirty-Ansatz: ich überlegte mir zügig einige Gewohnheiten, die ich als HSP nützlich fand, und fing an zu schreiben. Meine Zweifel ploppten zwar immer mal wieder auf, doch das Textdokument war nun einmal angelegt und die Anzahl der geschriebenen Wörter nahm stetig zu.

Unterdessen entwickelten Patrick und ich uns und unsere Ansprüche weiter. Unser Schreibstil wandelte sich – weg vom klassischen Ratgeber hin zum sogenannten Show, don’t tell-Ansatz. Wir wollen mittlerweile Inhalte mittels Geschichten transportieren und weniger Ratschläge erteilen. Wir recherchieren heute mehr als in unseren Anfängen und führen zu diesem Zweck auch Interviews. Auch für mein Buch schien mir dieser Ansatz sinnvoll. In meinem Buch wollte ich Geschichten von Hochsensiblen sammeln und somit eine Lücke in der Literatur schließen. Ich ließ mein Word-Dokument daher links liegen und vertiefte mich stattdessen in die Recherche. Ich wühlte mich durch deutsch- und englischsprachige Blogs auf der Suche nach der Ich-Perspektive und stieß auf einen riesigen Fundus an Anekdoten von Hochsensiblen. Imperative überflog ich. Vielmehr interessierten mich die Abschnitte mit persönlichen Gedanken und Erlebnissen. Ich wollte wenigstens einen Teil dieses Schatzes einer breiteren Leserschaft zugänglich machen. Die Geschichten würden Aha-Effekte und Geht-mir-genauso-Gedanken hervorrufen – so meine Hoffnung.

Schließlich wollte ich auch Interviews führen. Daraufhin sprach ich einige Leser unseres Blogs an und stieß auf ein überraschend positives Feedback. Die Unterstützung für mein Projekt war größer, als ich es erwartet hatte. Alle erkannten meine Motivation: Geschichten zu teilen, damit sich jeder Einzelne weniger allein oder sonderbar fühlt. Die Interviews selbst fielen mir erstaunlich leicht. Durch die Gemeinsamkeiten mit den Gesprächspartnern konnte ich mich gut einfühlen. Es war angenehm und vertraut, obwohl wir uns eigentlich kaum kannten.

Irgendwann hatte ich genug Material gesammelt. Ich sortierte und zerlegte mein Riesenprojekt in 13 einzelne Kapitel-Teilprojekte. Diesen widmete ich mich viele Monate lang und fühlte mich wie im Tunnel. Nach der ersten Rohfassung fing ich wieder von vorn an und bügelte alles glatt – so gut, es ging. Und ja, das war vielleicht eine Quälerei! Wer in seinem Leben schon einmal eine Abschlussarbeit angefertigt hat, erinnert sich vielleicht. Es dauert lange, bis sich der Text beim lauten Vorlesen vernünftig anhört.

Bald wurde mir klar, dass ich mich neben dem Schreiben des Buches auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte. Ich gab also endgültig meinen Wunsch auf, parallel zum Buch Blogbeiträge zu schreiben. Das machte mir natürlich ein schlechtes Gewissen, u. a. bestärkt durch die Hinweise aus dem Freundeskreis: „Wenn es so ruhig wird bei euch … da werdet ihr schon Leser verlieren!“ usw. Doch es nützte alles nichts. Ich musste All In gehen, damit ich das Projekt jemals zu Ende bringen würde. Ich konzentrierte mich daher ausschließlich auf das Buch und redete mir ein, dass so alles schneller gehen und der Zustand irgendwann vorbei sein würde.

Im Sommer 2017 war ich mit dem Bügeln fertig. Im ersten Moment sah ich die restliche Arbeit als Kür an. Ich war auf der Zielgeraden. Damals ahnte ich noch nicht, wie lang diese noch sein würde. Schließlich hatte sich die Arbeit bei unseren bisherigen Büchern auf Patrick und mich aufgeteilt. Mein Buch würde ich aber – abgesehen von den Korrekturläufen – allein zu Ende bringen müssen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch unterschätzte: Aufgrund der zahlreichen Zitate bedeutete das viel Aufwand im Nachgang.

Es war August und ich noch recht euphorisch. Bald würde ich mein erstes eigenes Buch in den Händen halten. Aber zunächst standen die Freigaben an. Schließlich hatte ich einige Interviews geführt sowie viele Passagen von Bloggern und Buchautoren zitiert, für die ich nun eine Genehmigung einholen wollte/musste. Für eine ängstliche Persönlichkeit wie mich bedeutete das ein reges Gedankenkarussell: Was, wenn sie nicht reagieren? Was, wenn sie Nein sagen? Hätte ich das alles früher machen sollen? Wie lange wird das dauern? Gefühlte Hunderte E-Mails und einige Wochen später war mein Manuskript ein bisschen geschrumpft und ich einen großen Schritt weitergekommen. Die allermeisten Mitwirkenden waren begeistert von meinem Vorhaben und unterstützten mich uneingeschränkt.

Nun standen Korrekturläufe mit Testlesern an. Auch hier war ich sehr froh über die Unterstützung aus dem Familien- und Bekanntenkreis. Parallel dazu half mir ein Freund in vielen Skype-Telefonaten, die Tücken von Rechtschreibung, Zitation, Formatierung & Co. zu bewältigen.

Langsam musste auch endlich der Titel her! Es machte mich nervös, dass er noch immer in den Sternen stand. Dabei gab es auf meiner Liste mittlerweile 100 Ideen. Doch keine davon genügte meinen Ansprüchen. Ich wartete auf den berühmten Moment, an dem der perfekte Titel vom Himmel fallen würde. Und das passierte tatsächlich auch. Besser spät als nie. Ich war mir auf Anhieb sicher: Ich würde das Buch „Gestatten: Hochsensibel“ nennen. Nun konnte ich endlich den Umschlag gestalten. Als die letzten Korrekturleser fertig waren, machte ich mich an den Satz – und unterschätzte natürlich auch in diesem Bereich, wie lange ich (als Perfektionistin) dafür brauchen würde.

Mein Ziel – die Veröffentlichung im Herbst – musste ich über Bord werfen und dafür Weihnachten als neue Deadline anpeilen. Diese hielt ich auch ein, allerdings kostete mich dieser (selbst gemachte) Druck wahrscheinlich ein paar Lebensjahre.

Was ich gelernt habe

Nicht wenige Menschen träumen davon ein Buch zu schreiben. Wer sich das nach dem Lesen der bisherigen Abschnitte immer noch vorstellen kann, ist möglicherweise an meinen Erkenntnissen interessiert. (Wer „nur“ wissen möchte, was ich wohl aus all der Quälerei gelernt habe, braucht auch einfach nur weiterzulesen!)

Eine hochsensible Autorin zu sein hat Vor- und Nachteile.

Hochsensiblen sagt man eine ausgeprägte Empathie nach. Ich glaube, diese hat mir im Großen und Ganzen bei der Recherche und den Interviews geholfen. Außerdem konnte ich Informationen schnell aufsaugen und abspeichern. Meine Fähigkeit mich zu vertiefen sowie mein Auge für Details halfen mir bei der Recherche, dem Schreiben und Formatieren. Die Nachteile waren: Ich saugte auch auf, was meinen Knetemischer so richtig zum Rotieren brachte. Von vielen Informationen im Internet ließ ich mich verunsichern. Meine Ängstlichkeit bzw. mein vorauseilender Gehorsam führten zu manchem Mehraufwand, den sich andere Autoren vielleicht nicht gemacht hätten. Wenn etwas schiefging, blieb das lange an mir kleben. (Diese Nachteile sind allerdings nicht nur hochsensiblen Autoren vorbehalten.)

Man kann und sollte sich trauen.

Für Außenstehende wirken wir Blogger oft mutig, weil wir viel von uns preisgeben. Natürlich kostet die Offenheit auch Überwindung. Ich denke jedoch, das Ganze lohnt sich. Es ist mein Beitrag gegen die sogenannte pluralistische Ignoranz. Das Feedback der ersten Leser ist so positiv, dass ich mich in dieser Haltung bestärkt fühle.

Eine andere Sache ist der Mut, auf andere Blogger und Autoren zuzugehen. Ich wählte daher zunächst den bequemen Weg und zitierte Textstellen aus Büchern und Blogs, anstatt die Autoren zu interviewen. Das erleichterte die Arbeit einerseits und war auch angesichts meiner Mission eine – wie ich finde – passende Strategie. Am Ende musste ich allerdings trotzdem den persönlichen Kontakt suchen, um die Freigaben einzuholen. Ich musste mich überwinden und meine Komfortzone dehnen. Diese Mutprobe war letztendlich weniger schwierig, als ich es mir vorgestellt hatte. Sie öffnete zudem Türen, denn mit einigen Autoren stehe ich nach wie vor in Kontakt und bin dafür sehr dankbar.

Vorher gründlich informieren spart Zeit und Nerven.

Mein Quick and dirty-Ansatz ist mir schon oft auf die Füße gefallen. Ich will schnell etwas zustande bringen und Ergebnisse sehen, die mich weiter motivieren. Allerdings mache ich deshalb viele Aufgaben doppelt oder dreifach. Gerade bei den Quellenangaben oder der Formatierung hätte ich viel Zeit gespart, wenn ich von Anfang an systematischer vorgegangen wäre. Wenn ich die Autoren früher kontaktiert hätte, hätte ich mir einige Textstellen sparen können (weil der Autor beispielsweise nicht reagierte).

Perfektionismus kostet viel Zeit und Nerven.

Perfektion hat ihren Preis. Das wissen Perfektionisten wie ich. Im Ernstfall wollen wir es aber trotzdem alles maximal schön haben. Der Nachteil ist ein hyperaktiver Fehlersuchmodus im Gehirn – zumal man uns HSPs ohnehin eine hohe Fehlersensibilität nachsagt. Mit der Zeit wurde ich allerdings immer unsicherer, was mein Buch anging. Ich grübelte häufig, schlief schlecht, grübelte deshalb noch mehr usw. Natürlich hat der Perfektionismus aber auch seine guten Seiten. Als ich in das Paket mit meinen Büchern griff und das erste Exemplar aufschlug, war ich zufrieden. Ich habe in die Optik des Buchinneren viel Liebe gesteckt und bin auf das Ergebnis stolz. Das entschädigt für so manchen Raubbau.

Es dauert immer länger, als man denkt.

Eine Erkenntnis, die sich rumgesprochen hat. Die Frage bei mir war v. a.: Wie gehe ich mit Verzögerungen um? Mein Vater riet mir einmal: „Am besten du gibst dir dafür jetzt zwei Monate extra und verschiebst alles gedanklich nach hinten.“ Zwei Monate!?! Natürlich wollte ich es in zwei, höchstens drei Wochen schaffen! Ich bin denkbar schlecht darin, die Ruhe zu bewahren und alle Fristen gelassen nach hinten zu verschieben. Der selbstgemachte Druck würde manchen Außenstehenden erstaunen. Schließlich bin ich mein eigener Chef? Und mir sitzt nicht einmal ein Verlag im Nacken?! Trotzdem fühlte sich mein Leben zeitweise fremdbestimmt an. Ich arbeitete nicht für mich, sondern für das Buch und für die Deadline. Es musste fertig werden und bescherte mir viel Wochenendarbeit, weggelassene Mahlzeiten und schlaflose Nächte. Gegen Ende hatte sich jegliche Euphorie verflüchtigt. Ich wollte nur noch einen Strich unter die Sache machen und meine Ruhe haben.

Wer nach einer MEinung fragt, bekommt eine.

Typisch für mich ist, dass ich mich absichere. Deshalb frage ich mindestens Patrick, meist aber noch weitere Menschen, um deren Meinung. Das ist für mich wertvoller Input und hat mich schon vor vielen Fehlern bewahrt. Bei einem Riesenprojekt kann man allerdings nicht jeden Schritt abklopfen. Außerdem musste ich irgendwann zwischen deren Präferenzen und meiner persönlichen Vorliebe abwägen. Ich konnte es nicht allen recht machen – ob bei der Hutkrempe oder den Antennen des hochsensiblen Typs auf dem Cover. Je mehr Leute ich fragte, desto mehr Meinungen bekam ich zu hören. Aber irgendwann wollte ich sie nicht mehr hören und sagte – aus Erschöpfung oder Resignation –: „Okay. Aber ich mache es jetzt so. Das gefällt mir besser.“ Ein großer Schritt für mich, ein kleiner Schritt für die Menschheit.

Es ist ein Lernprozess.

Erstaunlicherweise fragen relativ wenige Menschen, wie es ist, ein Buch zu schreiben (siehe Menschen, die keine Fragen stellen). Wenn es aber vorkommt, sage ich meist: „Es ist ein Lernprozess. Der kostet viel Kraft und ist mit Schmerzen verbunden. Aber man weiß das alles nie vorher und kann das auch nicht überspringen. Man muss da durch.“ Vieles hätte ich natürlich trotzdem gern vorher gewusst und mir erspart. Vieles würde ich beim nächsten Mal anders machen.

Mein geduldiger Skype-Berater fasste diesen Aspekt mit den Worten zusammen: „Am Ende ist man bereit anzufangen.“

Ein schönes Fazit, finde ich.



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