Verkehrswende

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Verkehrswende

Prozess der Umstellung des Verkehrs auf nachhaltige Energieträger


Als Verkehrswende (Mobilitätswende) wird der Prozess bezeichnet, Verkehr und Mobilität auf nachhaltige Energieträger, sanfte Mobilitätsnutzung und eine Vernetzung verschiedener Formen des Individualverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs umzustellen. Sie beinhaltet auch einen kulturellen Wandel, eine Umverteilung des öffentlichen Raums und eine Umleitung von Geldströmen. Eine Verkehrswende bezieht auch den Güterverkehr ein.

Hermann Knoflacher kritisierte bereits vor Jahrzehnten die autogerechte Stadt. Mit seinem Gehzeug karikiert er den enormen Platzbedarf des motorisierten Individualverkehrs (2007)

Motivation

Hauptmotivation für eine Verkehrswende ist die Reduzierung von verkehrsbedingten Umwelt- und Personenschäden.

Klimaschäden

Wichtiges Ziel ist die Senkung von CO2-Emissionen. Um das im Übereinkommen von Paris vereinbarte Ziel zu erreichen, also die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen, muss die Verbrennung von Erdölprodukten bis etwa 2040 eingestellt werden. Da die CO2-Emissionen des Verkehrs auf praktisch Null sinken müssen, reichen die bisher im Verkehrsbereich getroffenen Maßnahmen nicht aus, um die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen.

Luftverschmutzung

Eine Verkehrswende dient in den Metropolregionen und großen Städten auch gesundheitlichen Zwecken und soll insbesondere der massiven Luftverschmutzung entgegenwirken. Beispielsweise verursachte der Verkehr in Deutschland 2015 etwa 38 % der auf den Menschen zurückzuführenden Stickoxidemissionen. Alleine durch die Luftverschmutzung des Verkehrs an Land starben im Jahr 2010 rund 164.000 Menschen; in Deutschland waren es gut 6.900 Menschen. Eine neuere Studie des gleichen Hauptautors kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Luftverschmutzung des Straßenverkehrs in Deutschland jährlich 11.000 Todesfälle verursacht werden, die potenziell vermieden werden könnten. Diese Zahl ist 3,5 Mal so hoch wie die Zahl der Todesopfer durch Unfälle.

Klassische städtische Mobilität am Beispiel Aachens: Automobile im privaten Besitz prägen das Straßenbild.

Unfalltote, Lebensqualität, Aggressives Verhalten

Weitere Motive sind der Wunsch nach weniger Lärm, Straßen mit Aufenthaltsqualität und geringeren Unfallrisiken (siehe auch Vision Zero). Nach Schätzungen der europäischen Umweltagentur sind 113 Millionen Menschen in Europa von Straßenlärm auf ungesundem Niveau betroffen. Bei steigendem Verkehrsaufkommen und Pendlerzahlen wünschten sich viele Bürger auch attraktivere Aufenthaltsmöglichkeiten im öffentlichen Raum. Eine Verkehrswende dient demnach auch der Steigerung der Lebensqualität.

Die Verkehrswende gilt manchen auch als Mittel, aggressives Verhalten im Verkehr und der Gesellschaft abzubauen. Studien weisen darauf hin, dass Menschen in großen und teuren Autos eher zu rücksichtsloserem Verhalten neigen. Der Studie Verkehrsklima 2020 zufolge fühlen sich Frauen unsicherer als Männer. Sie wünschen sich stärker mehr Kontrollen und strengere Gesetze. Der im Design von Fahrzeugen gezielt eingesetzte böse Blick wird hingegen von Herstellern zunehmend eingesetzt, um Fahrern, die sich auf der Straße als stark und überlegen fühlen möchten, Fahrzeuge zu verkaufen. In der Unfallberichterstattung durch Presse und Polizei wird bisweilen ein verzerrtes Bild aufgebaut.

Stau

Ein weiterer Treiber der Verkehrswende ist der zunehmende Stillstand im Stau auf den Straßen. Die klassische Verkehrspolitik setzt hier zur Lösung des Stauproblems meist auf den Ausbau der Straßen. Für den zunehmenden Stau gibt es global betrachtet wiederum zwei wichtige Faktoren: Immer mehr Menschen ziehen im Zuge der Urbanisierung in die Städte und mit wachsendem Wohlstand werden mehr Automobile (auch als Statussymbol) gekauft. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Zukunft der Ausbau des öffentlichen und des nichtmotorisierten Verkehrs wieder eine größere Rolle spielen wird.

Konzept

Radfahren in Kopenhagen bedeutet auch den Berufsverkehr mit dem Rad zu gestalten. 45 Prozent der Bevölkerung pendelt mit dem Fahrrad.

Kritik an der „automobilen Gesellschaft“ ist nicht neu. Schon 1975 wollte der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher den Radverkehr in Wien fördern. Er karikierte den Platzbedarf von Automobilen mit einem von ihm erfundenen Gehzeug.

Diese Kritik und die geforderten Gegenmaßnahmen wurden zu dem Konzept der Verkehrswende verdichtet.

Der Duden definiert die Verkehrswende als „grundlegende Umstellung des öffentlichen Verkehrs [besonders mit ökologischen Zielvorstellungen]“.

Ziel einer Verkehrswende in Deutschland ist nach einem Thesenpapier von Agora Verkehrswende – eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation – die Klimaneutralität des Verkehrs bis zum Jahr 2050 sicherzustellen. Sie müsse auf zwei Säulen basieren:

  1. Mobilitätswende: Ziel ist eine deutliche Energieeinsparung. Die Mobilitätswende soll eine qualitative Veränderung des Verkehrsverhaltens bringen, insbesondere eine Vermeidung und Verlagerung von Verkehr. Eine effiziente Gestaltung der Verkehrssysteme ohne Einschränkung der Mobilität soll erreicht werden.
  2. Energiewende im Verkehr: Zur Dekarbonisierung des Verkehrs wird die Umstellung der Energieversorgung des Verkehrs auf erneuerbare Energien für notwendig erachtet.

Eine Verkehrswende beinhaltet auch einen kulturellen Wandel und insbesondere einer Neubewertung „der Straße“. Derzeit besteht der vorrangige Zweck der Straße darin, den Autoverkehr möglichst ungestört durch die Stadt zu lenken. Zukünftig soll die Dominanz des Autos einer Gleichberechtigung der Fortbewegungsweisen weichen.

In einer erweiterten Definition wird die Verkehrswende von einer reinen Antriebswende einerseits und einer grundlegenden Mobilitätswende andererseits unterschieden:

  1. Antriebswende: schrittweise Ersetzung von Verbrennungsmotoren durch solche, die über Wasserstoff, Brennstoffzellen oder batterieelektrisch angetrieben werden
  2. Verkehrswende: der private Autoverkehr wird durch andere Modi reduziert respektive ersetzt. Vor allem in den großen Städten und Metropolregionen wird verstärkt auf die Etablierung und Verbreitung alternativer Verkehrsmittel gesetzt – vom Ausbau des öffentlichen Verkehrs über die Förderung des sogenannten Aktivverkehrs (Fuß- und Fahrradverkehr), der Zulassung neuer elektrifizierter Kleinstfahrzeuge wie E-Tretroller sowie dem Angebot verschiedener Mobilitätsdienstleistungen (die sogenannten MaaS, »mobility as a service«).
  3. Mobilitätswende: In dieser Perspektive nicht nur die zurückgelegten Wege und die hierfür verwendeten Verkehrsmittel in den Blick genommen, sondern auch die sozio-ökonomischen, kulturellen und räumlichen Dynamiken und Zwänge, die die Notwendigkeit von Distanzüberwindung verursachen. Dazu gehören beispielsweise Siedlungs- und Verkehrspolitiken, Wohnungs- und Arbeitsmärkte, Sozialpolitik und Migration. Das Bedürfnis nach schneller Überwindung von Distanzen wird nicht als invariante Eigenschaft von Menschen, sondern als Teil und Voraussetzung der gegenwärtigen, auf Wachstum ausgerichteten kapitalistischen Gesellschaftsformation verstanden.
Elektroautos im Carsharing als Teil von Mobilitätsketten

Teilweise wird eine Verkehrswende auch als Paradigmenwechsel des „Eigentumsverständnisses“ dargestellt. Eine kollektive Nutzung von Verkehrsmitteln ermöglicht es, auf „an den konkreten Bedarf angepasste“ Verkehrsmittel zurückzugreifen (siehe auch: Carsharing, Privates Carsharing, Fahrradverleihsystem) und verschiedene Verkehrsmittel auf einer zurückzulegenden Route miteinander zu kombinieren. Elektromobile könnten ihre Vorteile in der Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln besser ausspielen. An die jeweilige Nutzung angepasste Elektromobile können je nach Einsatz klein oder groß sein und müssen nicht für lange Strecken ausgelegt sein. Eine passende Ladeinfrastruktur ist erforderlich. Unter Umständen wird es in einem solchen Umfeld nicht mehr erforderlich werden, private Verkehrsmittel für den Eigenbedarf zu besitzen.

Die Verkehrswende kann in Deutschland dem Bundesverkehrswegeplan 2030 gegenübergestellt werden. Die Verkehrswende setzt auf Verkehrsvermeidung und Verlagerung auf die Schiene, der Verkehrswegeplan hingegen auf Neu- und Ausbau der Fernstraßen in Deutschland. Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim ordnet die Wende als eine „Abkehr von der Autoförderung durch milliardenschweren Straßennetzausbau“ ein. Als notwendige Bedingung hierfür sieht er eine entscheidende Änderung der Prioritäten der Verkehrspolitik an.

Verhaltensänderungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie

Während der Pandemie wurde über die Effizienz der Flächennutzung in der Stadt neu nachgedacht. (Temporäre) Außenflächen für Restaurants sind teils wirtschaftlicher als Parkplätze und werten das Stadtbild auf.

Hauptartikel: Umweltauswirkungen der COVID-19-Pandemie#Verhaltensänderungen

Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurde deutlich, dass Arbeit und Verkehr auch in vergleichsweise kurzer Zeit anders organisiert werden können. Durch einen verstärkten Fokus auf das Arbeiten von Zuhause (Homeoffice) ließen sich Millionen von Tonnen Treibhausgas einsparen.

Siehe auch: Pop-up-Radweg

Maßnahmen im Personenverkehr

Überblick

Radschnellweg F35 in Enschede, Niederlande

Zur Erreichung einer Verkehrswende werden von unterschiedlicher Seite verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen.

Die Denkfabrik Agora Verkehrswende beschreibt in einem Thesenpapier, wie eine klimaneutrale Umstellung des Verkehrs bis 2050 möglich ist, ohne auf Mobilität zu verzichten. Neben technologischen Innovationen gibt es neue Verkehrskonzepte, regulatorische Maßnahmen und einen kulturellen Wandel. Mehrgliedrige Transportketten (Intermodaler Verkehr) werden betrachtet. Unter anderem gab es im November 2019 hierzu auch Untersuchungen des VCDs und der Heinrich-Böll-Stiftung.

Mobilitätswende

Zur Erreichung der Mobilitätswende – insbesondere einer deutlichen Senkung des Energiebedarfs und Änderung des Verkehrsverhaltens – werden verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen:

Der Autonome Bus Wien ist ein Versuchsbetrieb für autonomes Fahren.

Große Veränderungen können mithilfe der Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung auf Fahrrad, Schiene und öffentlichen Personennahverkehr gelingen. Im Durchschnitt legt eine Person täglich 3,4 Wege mit einer mittleren Länge von zwölf Kilometern zurück. Der private Pkw ist im Schnitt etwa 23 Stunden pro Tag geparkt. Für eine Mehrzahl dieser Strecken sind Elektroautos mit kurzer Reichweite, Fahrräder, Elektrofahrräder, Pedelecs, Lastenräder, aber auch neuerdings die E-scooter meist gut geeignet. Die gemeinsame Nutzung von Automobilen im Carsharing könnte die Auslastung der Fahrzeuge steigern und dazu führen, dass insgesamt weniger Pkw benötigt werden. Dies könnte ebenfalls den Flächenverbrauch durch Parkplätze reduzieren und Platz für andere Nutzungen freimachen. Fahrzeuge sind in Deutschland im Durchschnitt mit 1,5 Personen besetzt. Ein Mittel zur effizienten Nutzung von Pkw ist die Bildung von Fahrgemeinschaften und die Nutzung von Mitfahrzentralen. Ein bedarfsgerechter Rückgriff auf Niedrigenergiefahrzeuge kann ebenfalls zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs dienen. Die letztgenannten Maßnahmen würden zu einer Erhöhung der Energie- bzw. Fahrzeugeffizienz führen. Ein weiterer Bestandteil im zukünftigen Mobilitätsmix können Leichtelektromobile sein.

Zahlreiche regulatorische Maßnahmen zur Steuerung sind möglich, zum Beispiel eine Innenstadtmaut, eine Besteuerung des Luftverkehrs, eine Reform der Dienstwagenbesteuerung, eine Parkraumbewirtschaftung oder eine Ausdehnung des Emissionsrechtehandels auf den Straßenverkehr. Die Einführung eines Tempolimits hätte ebenfalls Auswirkungen auf die CO2-Emissionen (siehe Artikel Zulässige Höchstgeschwindigkeit). PKW verbrauchen bei hohen Geschwindigkeiten überproportional viel Kraftstoff. Dazu können emissionsmindernde Sekundäreffekte eines Tempolimits treten, über die aber noch erhebliche Unsicherheiten bestehen: Geringere Höchstgeschwindigkeiten und längere Fahrzeiten können zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene und zur Förderung von Fahrzeugen mit niedrigerer Motorleistung beitragen.

Im Flugverkehr wird eine Verlagerung auf andere Verkehrsträger bzw. der Umstieg vom Kurzstreckenflugverkehr auf Hochgeschwindigkeitszüge vorgeschlagen.

Im Bereich der Stadtplanung gibt es Konzepte zur Fußgängerfreundlichkeit, siehe auch Stadt der kurzen Wege, New Pedestrianism und Autofreies Wohnen. In der Forschungspolitik bestehen Forderungen, die Folgen des motorisierten Individualverkehrs in Form einer praxis- und lösungsorientierten Forschung stärker zu berücksichtigen.

Antriebs- und Energiewende im Verkehr

Zur Erreichung der Energiewende im Verkehr wird als notwendig erachtet auf die Verbrennung von erdölbasiertem Treibstoff zu verzichten und klimafreundlichere Antriebstechnologien bzw. Kraftstoffe einzusetzen. Als Ersatz für Benzin und Dieselkraftstoff können Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Ökostrom hergestellte E-Fuels oder Biotreibstoffe dienen

Da der Gesamtwirkungsgrad von E-Fuels weitaus geringer ist als die direkte Elektrifizierung über Elektroautos empfiehlt der Sachverständigenrat für Umweltfragen, den Einsatz von strombasierten synthetischen Brennstoffen vor allem auf den Flug- und Schiffsverkehr zu beschränken, um den Stromverbrauch nicht zu sehr ansteigen zu lassen. So benötigen beispielsweise wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenfahrzeuge mehr als doppelt so viel Energie pro Kilometer wie batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge, mit Power-to-Liquid-Treibstoffen betriebene Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sogar zwischen vier- und sechsmal so viel. Batteriefahrzeuge weisen somit eine deutlich bessere Energieeffizienz auf als Fahrzeuge, die mit E-Fuels betrieben werden. Im Allgemeinen liegt der Verbrauch von Elektroautos bei etwa 12 bis 15 kWh elektrischer Energie pro 100 km, während konventionell angetriebene Autos bei einem Energieverbrauch von umgerechnet etwa 50 kWh je 100 Kilometer liegen. Gleichzeitig entfällt auch der Energiebedarf für die Herstellung, Transport und Verteilung von Brennstoffen wie Benzin oder Diesel. Insbesondere in China wird auch aus gesundheitlichen Gründen (zur Vermeidung von Smog) die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf Elektromobilität vorangetrieben, um der massiven Luftverschmutzung in den Städten entgegenzuwirken.

Die Antriebswende kann damit auch ein zentraler Baustein der Energiewende werden. Während der Umstieg auf Erneuerbare Energien bereits weltweit im Gange ist, gestaltet sich die Energiewende im Verkehr, vor allem mit dem Umstieg von Erdöl auf nachhaltige Energieträger, schwieriger. Disruptive Technologien (wie die Entwicklung leistungsstärkerer und günstigerer Akkus oder Innovationen im Bereich des autonomen Fahrens) und neue Geschäftsmodelle (insbesondere im Bereich der Digitalisierung) können jedoch auch zu nicht vorhersehbaren, schnellen und weitreichenden Veränderung der Mobilität führen.

Siehe auch: „Verkehrssektor“ im Artikel Energiewende

Ferner gibt es neue Möglichkeiten sich im Verkehr fortzubewegen:

  • Das Fahrzeug hat vier Räder und wird durch Muskelkraft und Elektromotor angetrieben

  • Leichtelektromobile sind klein, leicht und fahren elektrisch.

  • Schwedischer Nostalgie-E-Roller

  • Ein Pedelec mit Mittelmotor

  • Lastenfahrrad zum Kindertransport

Beispiel: Wien

Fußgängerzonen, hier der bereits 1971 eingeführte Graben in Wien, sorgen für eine attraktive Stadt.

Wien entwickelt sich konsequent zu einer Stadt, welche den öffentlichen Raum umstrukturiert und den öffentlichen Personennahverkehr fördert. Der Wiener Planer Hermann Knoflacher sagt: „Das Geld kommt zu Fuß oder mit dem Rad“. Die wirtschaftliche Nutzung von Fläche als Parkplätze sei ineffizient. Eine autofreie Straße steigere den Umsatz der Gastronomie, der Bekleidungsgeschäfte und Händler. Neue Arbeitsplätze entstünden so.

Die Attraktivität des ÖPNV kann gezielt durch die Absenkung des Preises für eine Jahreskarte gesteuert werden: In Wien fährt man im Abo für 1 Euro pro Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Zwischen 2012 und 2018 stieg die Zahl der Jahreskartenbesitzer von 373.000 auf 780.000. Zeitgleich mit der Umstellung begann die Stadt stärker in den Nahverkehr zu investieren. Einige Städte kündigten im Juli 2018 an, sich am Wiener Modell zu orientieren und die Preise für Jahreskarten zu senken.

  • Die Mariahilfer Straße in Wien im Jahr 2006

  • Ab 2010 wurde die Straße konsequent umgebaut

  • Die neugestaltete Straße mit großzügigen Fußgänger- und Begegnungszonen

Beispiel: Luxemburg

Seit dem 1. März 2020 ist der öffentliche Verkehr in Luxemburg für alle kostenfrei nutzbar. Das Großherzogtum wurde damit der erste Staat weltweit, der einen kostenlosen Nahverkehr einführte. Ausgenommen davon bleibt das Nutzen der 1. Klasse in der Eisenbahn. Ein wensentlicher Grund für das Umsteuern ist der zunehmend problematische Stau auf Luxemburgs Straßen.

Weitere Beispiele

Radverkehr in Münster: Die Mobilstation verknüpft Bus und Fahrrad.

Im Folgenden werden einige mögliche Bausteine für eine Verkehrswende genannt:

  • Alternativ zum Wiener Modell der Jahreskarte wird ein Bürgerticket in manchen Kommunen als eine neue Art der Finanzierung und Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs diskutiert. Es soll über eine Abgabe für alle Bürger einer Kommune finanziert und als eine Art Flatrate für Bus und Bahn funktionieren.
  • In Deutschland wird ein Verkaufsverbot für Verbrennungsmotoren ab 2030 diskutiert. Norwegen hingegen möchte bereits, dass ab 2025 keine Autos mit Benzin- oder Dieselmotor und ab 2030 Schiffe und Fähren nur noch ohne fossile Energieträger zugelassen werden, und gilt damit als eine führende Nation der Elektromobilität. Auch die Niederlande planen ein Zulassungsverbot für konventionelle Antriebe bei Autos ab 2025. In China werden alle Automobilkonzerne verpflichtet, eine Quote für Produktion und Absatz von reinen Elektro- oder Plug-in-Hybrid-Antrieb zu erfüllen.
Critical Mass in Budapest (2007)
  • Es gibt zahlreiche Projekte zur Elektromobilität, siehe Modellregionen Elektromobilität in Deutschland und BeMobility. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht die Städte und Gemeinden als Treiber und Gestalter einer Verkehrswende und fördert ebenfalls einige Projekte.
  • In mehreren Städten gibt es Aktionen mit dem Namen Critical Mass. Radfahrer machen dabei bei gemeinsamen Fahrten durch Innenstädte auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam und fordern eine Verkehrswende und insbesondere mehr Rechte für Radfahrer, bessere Radverkehrsnetze und Infrastruktur und mehr Platz für den nicht-motorisierten Verkehr. Die erste „Critical Mass“ fand im September 1992 in San Francisco statt.
  • Zur Verbesserung der Luftqualität werden in Europa verstärkt Umweltzonen eingerichtet. Ein progressiver Ansatz ist das französische Certificat qualité de l’air, das je nach Luftbelastung unterschiedliche Einschränkungen vorsieht. Die gültigen Verbote können im Internet oder per App eingesehen werden. Elektrofahrzeuge oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge erhalten die Kategorie 0 (grüne Vignette) und können immer fahren. In Deutschland wurden zudem Dieselfahrverbote erlassen.
  • Statt eines Firmenwagens bieten einzelne Unternehmen ihren Mitarbeitern ein Mobilitätsbudget an, das zur Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel verwendet werden kann.
  • Der Stadtstaat Singapur lässt seit dem 1. Februar 2018 keine zusätzlichen Privatautos mehr zu. Hierdurch soll der Umstieg auf andere Fortbewegungsmittel gefördert werden. Es gibt vom Staat nur noch dann die Erlaubnis für ein neues Auto, wenn zuvor ein anderer Wagen verschwindet.
  • London verfügt seit 2003 mit seiner Congestion Charge über eine Innenstadtmaut, welche Kraftfahrer im Zentrum von London entrichten müssen. Ab Oktober 2017 wird mit der Toxicity charge eine zusätzliche, neue Gebühr für ältere und umweltbelastendere Autos und Lieferwagen fällig.
  • In vielen Städten Deutschlands gibt es Bürgerinitiativen, die sich nach dem Vorbild der Initiative Volksentscheid Fahrrad in Berlin für eine Verkehrswende und „Radgesetze“ einsetzen. In Berlin wurde im Juni 2018 das Berliner Mobilitätsgesetz zur Förderung des Radverkehrs auch aufgrund eines erfolgreichen Antrags auf ein Volksbegehren verabschiedet.
  • In Japan muss ein Autokäufer den Nachweis erbringen, einen Parkplatz für das Auto vorzuhalten. Der Staat versucht, mittels Regulierung die Menschen zum Erwerb kleiner Autos mit kleinen Motoren (siehe auch: Kei-Car) zu bewegen oder zum Umstieg auf den ÖPNV zu motivieren.
  • In Spanien wurde im Jahr 2021 eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung von innerorts 30 km/h eingeführt. Auf Straßen mit nur einem Fahrstreifen, wurde die erlaubte Geschwindigkeit auf maximal 20 km/h begrenzt. Das Ziel ist, tödliche Unfälle zu verhindern. In Spanien starben im Jahr 2019 insgesamt 509 Menschen im städtischen Straßenverkehr. Durch die Geschwindkeitsbeschränkungen sollen 80 Prozent der Unfälle verhindert werden.
  • Siehe auch: Tarifsystem (Öffentlicher Personenverkehr)#Städte-Beispiele

Maßnahmen im Güterverkehr

Im Straßengüterverkehr schlagen einige Transportunternehmen teils neue Technologien wie Oberleitungslastkraftwagen, Elektrolastkraftwagen oder elektrische Transporträder vor. Kurier-Express-Paket-Dienste experimentieren mit neuen Konzepten der intelligenten Logistik. Oberleitungs-Lkw mit Zusatzbatterie bieten die Möglichkeit eines emissionsärmer gestalteten Lkw-Fernverkehrs, der zugleich energieeffizienter ist als bei batteriebetriebenen Lkw. Die Ausstattung von Autobahnen mit Oberleitungen für LKWs hat den Vorteil, dass LKWs nur kleine Batterien mitführen müssten, da nur vergleichsweise kurz Strecken im reinen Batteriebetrieb zurückgelegt würden. Zugleich wären Oberleitungs-LKW eine kostengünstige Möglichkeit, den Gütertransport klimafreundlich zu machen, da die Elektrifizierung von Autobahnen mit Kosten von 3 Mio. Euro/km finanziell keinen allzu großen Aufwand darstellt. Als Strategie zur Verkehrsvermeidung gilt auch die regionale Lebensmittelproduktion.

Die Nutzung alternativer Verkehrsträger wie Binnenschiff und Güterbahn ist eine weitere Option: Laut Daten des Umweltbundesamtes stößt ein Lkw im Bezugsjahr 2018 im Schnitt 112 Gramm CO2-Äquivalente pro Tonnenkilometer (g/tkm) aus, um seinen Energiebedarf für die Transportleistung zu decken. Ein Güterzug bringt es auf 18 g/tkm und ein Binnenschiff auf 31 g/tkm. Damit sind beide Verkehrsträger deutlich energieeffizienter. Mit der zunehmenden Containerisierung ist der so genannte Modal Shift leichter zu bewerkstelligen, der Lkw muss im so genannten Multimodalen Verkehr oder Kombinierten Verkehr nur noch die letzte Meile zwischen Hafen oder Eisenbahnterminal und Kunden übernehmen.

Obwohl die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten den Kombinierten Verkehr finanziell teils stark fördern, entwickelt sich bei seit Jahren steigendem Güterverkehr nur der Lkw positiv, Schiff und Schiene stagnieren oder verzeichnen Rückgänge. Für 2016 meldete das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Transportleistung von 3,7 Prozent für das Binnenschiff, einen Rückgang von 0,5 Prozent für die Bahn sowie ein Wachstum von 2,8 Prozent für den Lkw. 2015 gab es bei einem wachsenden Transportaufkommen von 1,1 Prozent ein Plus von 1,9 Prozent für die Straße, ein Minus von 1 Prozent für die Schiene sowie ein Minus von 3,2 Prozent für das Binnenschiff. Insgesamt entfallen 71 Prozent der Transportleistung auf den Lkw.

Weiter Beispiele für eine Verkehrswende im Transportsektor sind:

  • Der Hafen Rotterdam hat eine Quote für den Modal Split der Hinterlandverkehrsträger festgelegt: der Lkw-Anteil soll von 47 auf 35 Prozent sinken, während die Bahn anstelle von 13 zukünftig 20 Prozent, das Binnenschiff 45 statt 40 Prozent der Verkehrsleistung erbringen soll.
  • Anstatt Fernstraßen mit dem Transport von Schwergütern wie Industrieanlagen oder Bauteilen für Windturbinen zu belasten, muss über das elektronische Portal Verfahrensmanagement Großraum- und Schwertransporte (VEMAGS) geprüft werden, ob nicht alternative Transportwege wie Schiff und Schiene zur Verfügung stehen.
  • In der Binnenschifffahrt werden verschiedene Ansätze für Energieeffizienz und Luftschadstoff-Reduzierung erprobt und erforscht: Dazu gehören Antriebskonfigurationen wie das Vater-Sohn-Konzept, dieselelektrische Hybridantriebe, hydrodynamische Optimierungen, Kraftstoff-Wasser-Emulsionseinspritzung, SCR-Katalysatoren, Partikelfilter, Gas-to-Liquid-Kraftstoffe (GTL) oder Liquified Natural Gas (LNG), die sich teils auch in Kombination anwenden lassen und zur Nachrüstung bestehender Systeme geeignet sind.
  • Mit einem Motorenförderprogramm unterstützt das Bundesverkehrsministerium Binnenschifffahrtsunternehmen bei Einbau und Nachrüstung schadstoffarmer Motoren oder anderer emissionsreduzierender Technologien. Die Förderquote liegt bei bis zu 70 Prozent.
  • Mit der Förderung von Umschlaganlagen für den Kombinierten Verkehr unterstützt die deutsche Bundesregierung die Verkehrsverlagerung auf Binnenschiff und Güterbahn.
  • Die IHK Niederrhein, die Schifferbörse Duisburg und das Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) in Duisburg bieten gemeinsam einen Zusatzlehrgang an. Auszubildende Speditions- und Logistikkaufleute sollen dadurch Kenntnis über die Vorteile alternativer Verkehrsträger Bahn und Binnenschiff erlangen und diese so leichter in ihren Berufsalltag integrieren. Häufig stehen in der Ausbildung lediglich Straßengüterverkehr und zusätzlich Seefracht oder Luftverkehr auf dem Lehrplan.

Literatur

  • Claudia Hornberg et al.: Umsteuern erforderlich: Klimaschutz im Verkehrssektor. Sondergutachten November 2017. Hrsg.: Sachverständigenrat für Umweltfragen [SRU]. Berlin 2017, ISBN 978-3-947370-11-5 (Download [PDF; 2,4 MB; abgerufen am 20. September 2020]).
  • Udo Becker: Grundwissen Verkehrsökologie: Grundlagen, Handlungsfelder und Maßnahmen für die Verkehrswende. München 2016, ISBN 978-3-86581-993-2.
  • Weert Canzler, Andreas Knie: Schlaue Netze – Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt. München 2013, ISBN 978-3-86581-440-1.
  • Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf: Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende. Soziologische Deutungen. transcript, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8376-4568-2.
  • Hermann Knoflacher: Zurück zur Mobilität! Anstöße zum Umdenken. Ueberreuter, Wien 2013, ISBN 978-3-8000-7557-7.
  • Katharina Manderscheid: Antriebs-, Verkehrs- oder Mobilitätswende? Zur Elektrifizierung des Automobilitätsdispositivs. In: Achim Brunnengräber, Tobias Haas (Hrsg.): Baustelle Elektromobilität – Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Transformation der (Auto-)Mobilität. transcript, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-8376-5165-2, S. 37–67 (Download [PDF; 3,0 MB; abgerufen am 11. August 2020]).
  • Markus Hesse: Verkehrswende. ökologisch-ökonomische Perspektiven für Stadt und Region. Marburg 1993, ISBN 978-3-926570-62-8.

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